Der Aufstieg von Gutingi

14. November

Adson stand vor dem massiven Gebäude und machte sich Gedanken. Es handelte sich um ein Elektrizitätswerk. Elektrizität. Man verbrannte Kohle und durch verschiedene Prozesse generierte man Strom. Den man über Leitungen in jede Ecke der Stadt oder auch des Landes schicken konnte. Das Ergebnis? Es ward Licht. Vorbei die Zeiten, in denen man früh zu Bett ging. Oder man beim fahlen Licht von Kerzen oder von mit Walfischtran befeuerten Lampen in der Wohnung saß. Man legte einen Schalter um und das Zimmer war hell. Erstaunlich.

Nicht nur das. Mit Strom ließen sich Maschinen effizienter antreiben als mit altmodischen Dampfmaschinen. Und in privaten Haushalten nicht nur Glühbirnen, sondern alle möglichen weitere Haushaltsgeräte. Hier bahnte sich eine neue Revolution an. Er mochte keine Revolutionen.

Auf dem Weg zurück zum Rathaus kam er an neu erbeuten Einfamilienhäusern vorbei. Manche Fenster waren hell erleuchtet. Mit Strom würde sich der Energieverbrauch der Menschen potenzieren. Und immer so weiter. Denn immer neue Maschinen würden immer mehr Strom verbrauchen, für die man immer mehr Rohstoffe benötigen würde, um diesen Strom zu erzeugen. Gab es überhaupt so viel Kohle oder Öl auf dem Planeten? Vielleicht ja, aber man würde jedes Vorkommen erbarmungslos ausbeuten müssen. Auf der anderen Seite: Was konnte schon schiefgehen?

1699992360149.png
 
22. November

Es ist schön, König zu sein. Dann konnte man eine schrullige Idee haben und sie auch noch umsetzen. So etwa, an einem recht frischen Novembertag die Kabinettssitzung in den neuen Stadtpark zu verlegen, um Volksnähe zu simulieren. Die ebenfalls geladenen Gattinnen der Minister glänzten allerdings aufgrund einleuchtender Gründe wie etwa „Ich muss zum Friseur“ oder „Ich friere mich nicht zu Tode wegen dem Spacken“ durch Abwesenheit.

„So. Wie ist die Lage?“, fragte Adson in die Runde.

„Wir machen Fortschritte.“, sagte der Kriegsminister. Sein Vorschlag, seinen Bereich in Verteidigungsministerium umzubenennen war vor ein paar Wochen in allgemeinem Gelächter untergegangen. „Der größere Teil von Europa ist unter Kontrolle und wird uns Benzin und Sprengstoff liefern.“

„Sehr schön. Sonst noch was?“

„Wir haben Antibiotika erfunden.“, meinte der Wissenschaftsminister. „Vielleicht erinnern Sie sich, dass wir herausgefunden haben, dass Bakterien Krankheiten verursachen können und Antibiotika machen diesen kleinen Dingern den Garaus. Wenn man es sich leisten kann.“

„Ich mag ihre Einstellung. Ja?“, fragte Adson als er sah, dass sich der Wohnungsbauminister meldete.

„Das Wohnbauprogramm ist abgeschlossen und es leben nun 12500 Menschen in unserer Stadt. Und nicht nur das. Wir dachten, es wird Zeit, auch das Rathaus neu zu gestalten.“

„Oh, ich liebe Überraschungen. Sehen wir es uns an.“

1700670199738.png

„Wie findet Ihr es, Euer Majestät?“

„Eine runde Sache. Im wahrsten Sinne des Wortes. Man verstehe mich nicht falsch, es ist interessant, aber ich hatte mich an Ecken und Kanten gewöhnt.“

„Genau das ist nun eine Sache der Vergangenheit. Weiche Formen und dekorative Elemente sind die Zukunft. Wir nennen den Stil Art Deco.“

"Dekorative Elemente? Etwa, eine Statue von mir in jedem Büro?"

"Ehm...ja...genau."

Es war schön, König zu sein. Man konnte schrullige Ideen haben und sie in die Tat umsetzen.
 
5. Dezember

Es war ein kalter Dezembertag. Draußen fiel Schnee. Aber es war auch fast Nikolaus und Adson liebte diese Jahreszeit, während der man es sich auf der Couch mit einem Tee und Buch bequem machte und den lieben Gott einen feinen Kerl sein ließ. Wenn man nicht gerade Besprechungen mit den Ministern hatte.

„Ich habe vor ein paar Tagen die neuen Appartmenthäuser gesehen. Gefallen mir richtig gut. Wie viele Einwohner haben wir zurzeit?“

„Etwa 17.000, Euer Majestät.“, sagte der Minister für Wohnen.

„Gefällt mir. Sonst noch was?“

„Ja.“, meinte der Verteidigungsminister, „Die allerletzten Widerstandsnester in den amerikanischen Inseln sind erledigt und der Kontinent gehört nun komplett uns.“

„Also mir.“

„Bitte?“

„Ich bin der König. Es ist mein Imperium. Die Inseln sind also unter meiner Kontrolle. Nicht unserer. Wir sind ja keine Kommunisten.“

„Selbstverständlich nicht. Außerdem ist auch Europa fest in u…eurer Hand.“

„Fein.“

„Da ist aber noch eine Sache.“, meinte der Außenminister. „Unsere Aufklärungsflieger haben einen weiteren Kontinent östlich von Europa entdeckt.“

„Wer?“

„Die Aufklärungsflieger.“

„Flieger?“

„Sie wissen schon. Flieger. Flugzeuge.“

Natürlich hatte Adson keine Ahnung über die letzten Entwicklungen im Verkehrswesen und daher brachte man ihn zu zwei neuen Fabriken am Stadtrand, wo man Propellerflugzeuge montierte und ihm erklärte, wie es sich mit den Flugzeugen verhielt.

1701796574039.png

„Wenn ich es richtig verstehe, sind das hier also große Autos mit Motoren und Tragflächen und die können fliegen?“

„Ja, Euer Majestät. Man kann mit ihnen Menschen und Fracht befördern.“, sagte ein Ingenieur.

„Bomben?“

„Wie bitte?“

„Bomben. Kann man die Teile auch bewaffnen?“

„Ich nehme es an. Aber muss das sein?“

„Ja.“
 
12. Dezember

Autokino. Faszinierende Sache. Natürlich gab es schon länger Kinos. Aber warum dorthin gehen, wenn man genauso gut fahren kann? Um sich dann gemütlich mit einer Jumbo-Portion Popcorn den neuesten Science-Fiction-, Action-, Horror- oder Romantikfilm anzuschauen. Adson und seine Königin waren begeisterte Kinogänger und zum Gefallen des Volkes ließen sie sich häufig im Autokino blicken, wo sie dann zwei ganz normale Zuschauer waren. Wenn man mal von Premiumservice und Security absehen will.

1702393287762.png

Es lief "Vom Winde verweht" und die Königin hatte schon ein paar Tränen darüber vergossen, was für windige Charaktere Rhett und Scarlett waren. Und das es kein Happy-End gab, obwohl sie es beiden nicht gönnte. Als der Abspann lief, waren aber beide recht zufrieden und hatten Zeit für ein wenig Geplauder.

"Wir sollten wirklich öfter hierherkommen.", meinte sie.

"Nicht wahr? Extra dafür habe ich die Straßen zu Autobahnen ausbauen lassen."

"Aham..."

"Ja?"

"Das mit den Autobahnen hat natürlich gar nichts mit der neuen Fabrik für Panzerartillerie zu tun, die gute Zufahrtsstraßen braucht.", meinte sie und rollte ein wenig die Augen. "Nur weil ich nicht regiere, bin ich kein Dummchen. Solltest du auch nicht sein."

"Warum sagst du das?"

"Weil sich die Leute lustig machen. Hast du ernsthaft ein Flugzeug als ein Auto mit Tragflächen bezeichnet?"

"Naja...also...ich war etwas überwältigt."

"Auf der Straße munkelt man, dass dich schon eine neue Brotsorte intellektuell überwältigen würde. Du musst dich wirklich mehr um die wissenschaftliche Seite kümmern."

"Soll ich etwa nochmal zur Schule gehen?"

"Kann nicht schaden."
 
24. Dezember

Weihnachten! Das Fest der Liebe. Des Miteinanders. Des Denkens an Andere. Adson liebte Weihnachten. Daher hatte er auf den heutigen Tag gewartet, um eine große Pressekonferenz zu geben.

"Ja, verehrte Untertanen von der Presse. Ich möchte den heutigen Tag zum Anlass nehmen, um verschiedene Gesetze zu verabschieden, mit denen die vollkommene Gleichberechtigung aller Geschlechter und Religionen in meinem Königreich vollendet wird."

Nach einem kurzen, aber nicht zu kurzen Applaus der Anwesenden ob dieser freudigen Nachricht, wurden schließlich Fragen zugelassen.

"Wie sind Eure Majestät auf diese Initiative gekommen?"

"Also um der Wahrheit die Ehre zu geben, war das nicht meine Idee sondern die des Industrieverbands."

"Interessant. Wie ist es dazu gekommen?"

"Es war ganz einfach. Durch die Industrialisierung bestand ein höherer Bedarf an Arbeitskräften und ein absolut umfassender und vor allem unregulierter Zugang aller Menschen zum Arbeitsmarkt würde helfen, die zur Verfügung stehende Arbeitskraft zu erhöhen und durch dieses Überangebot den Wert von Arbeitskraft vor allem in Sparten mit niedrig qualifizierten Tätigkeiten zu senken."

"Meinen Sie nicht, das Gleichberechtigung einfach um ihrer selbst Willen eingeführt hätte werden sollen?"

"Das ist möglich. Aber wenn nebenher noch eine höhere Produktionseffizienz abspringt, kann das ja keine Sünde sein."


***

Später am Tag stand Adson mit seinem Architekten vor dem just neu gestalteten Rathaus.

1703419527812.png

"Ich muss sagen, mir gefällt es. Durch die vielen Fenster kommt eine Menge Licht rein. Nur die Statue von mir über dem Eingang halte ich nicht für sehr lebensecht."

"Das sind nicht Sie.", meinte der Architekt. "Das ist die blinde Justitia, die ohne Ansehen der Person Recht spricht."

"Ohne Ansehen der Person? Sie meinen, ich würde dann genauso beurteilt wie....wie...wie jedermann?"

"Haben Sie nicht gerade eben für Gleichberechtigung gesorgt?"

"War vielleicht etwas voreilig von mir."
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben