Der Aufstieg von Gutingi

16. September

Irgendwo in einer prähistorischen, küstennahen und erfreulicherweise hochdeutschsprachigen Ebene. Eine Gruppe von Menschen kam zusammen, um eine bescheidene Siedlung mit dem klangvollen Namen Gutingi rund um ein Dorfzentrum zu gründen. Und der Anfang lief gut. Wohnhäuser und Töpfereien sprossen aus dem Boden wie Pilze nach starkem Regen. Tonnenweise gute Ideen wie das Rad, Landwirtschaft und Holzbearbeitung machten die Runde. Aber nicht alles war eitel Sonnenschein, wie der Dorfvorsteher Adson noch bemerken sollte.

"Äh, Häuptling?", sagte einer der Töpfer.

"Ja?"

"Hier ist die Amphore, die du bestellt hattest."

"Sehr gut. Nur weiter so."

"Wie, weiter so?"

"Naja, ich meine mit den Amphoren."

"Du willst NOCH eine?"

"Also eigentlich möchte ich so viele Amphoren wie möglich."

"Das hättest du aber auch mal sagen können. Das heißt, ich soll jetzt rund um die Uhr Amphoren machen?"

"Ja, das war so der Grundgedanke. Hast du gut erkannt."

Mit einer leise vor sich hin geflüsterten Bemerkung über ausbeuterische Arbeitsbedingungen machte sich der Töpfer wieder von dannen und das Leben in Gutingi ging weiter in eine ungewisse, aber vielleicht ereignisreiche Zukunft.
 
17. September

Gutingi war ein Ameisenhaufen von beschäftigten Bauarbeitern, Handwerkern und Soldaten. Am Rande der Ortschaft war eine Burg entstanden, die aus welchen Gründen auch immer deutlich dauerhafter und luxuriöser gebaut war als irgendetwas im eigentlichen Dorf, obwohl dort niemand wohnte. Im Gegenzug erhielten die Einwohner eine Schule, obwohl es angesichts des allgemein niedrigen wissenschaftlichen Niveaus noch kaum Fächer zu unterrichten gab.

Erstaunliche Nachrichten kamen aus dem Norden. Nachdem eine Gruppe örtlicher Warlords von den eigenen Truppen unterworfen worden waren, stieß man auf Territorium eines gewissen Hasdrubaal Barkas. Obwohl seine Leute teilweise besser ausgerüstet waren, könnten Sie der eigenen zahlenmäßigen Überlegenheit nichts entgegen setzen. Erstaunlich, was für mächtige Armeen ein Dorf mit 360 Einwohnern ins Feld führen kann.

Doch es war nicht so sehr der turbulente technologische, militärische und wirtschaftliche Fortschritt, der Häuptling Adson interessierte, sondern ein Gebäude am Ortsrand.

"Sage mal.", sagte er zu einem Passanten. "Was ist das da?"

"Oh. Das ist das Orakel."

"Orakel. Wofür ist es gut?"

"Eine Priesterin sitzt in einem Raum mit Rauchschwaden und macht dann Prophezeiungen."

"Wirklich? Kann ich mal eine hören?"

"Kräht der Hahn morgens auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist."

"Ich sehe.", meinte Adson mit nachdenklicher Miene. "Diese Rauchschwaden. Sind die zufälligerweise pflanzlichen Ursprungs?"

"Ja. Ich denke. Wieso?"

"Och. Nur so."
 
18. September

Die Nachrichten aus dem Norden blieben gut. Das Gebiet von Hasdrubaal Barkas wurde komplett eingenommen, wobei Gutingis Truppen vorrückten wie ein heißes Messer durch Butter. Was vor allem daran lag, das so viele Söldner zur Verfügung standen. Diese waren nicht nur besser ausgerüstet als Gutingis eigene Kräfte, sondern auch wesentlich zahlreicher. Man hätte annehmen können, dass diese Verbände einfach die Macht an sich reißen. Das das nicht passierte, lag vermutlich nur an dem jungenhaften Charme und Sexappeal von König Adson.

König Adson? Ja. Als das Dorf wuchs, beschloss Adson, einen größeren Standesunterschied zwischen sich selber und dem Pöbel auf der Straße zu schaffen. Da kam ihm ein Fremder gelegen, der behauptete, er wäre Architekt. Natürlich hatte keiner den blassesten Schimmer, was das sein soll. Aber er entwarf nicht nur den Plan für ein neues Dorfzentrum, sondern konnte den auch umsetzen.

Das Ergebnis war eine aus Stein, Marmor und Ziegeln erstellte Villa, die ein erhebliches Wohlstandsgefälle zwischen Herrscher und Bevölkerung aufzeigte. Also genau wie gewünscht.

"Das sieht wirklich beeindruckend aus.", meinte Adson.

"Natürlich. Ist ja auch von mir."

"Ich sehe, sie haben auch ein paar Häuser neu gestaltet."

"Das war nötig. In dem, was hier als Wohnhaus durchging, würde man in Karthago nicht mal die Schweine hüten. Danken Sie mir später."

"Warum sollte ich?"

"Wenn sie so üppig wohnen und Ihre Leute in absolutem Dreck, was denken Sie wohl, wie lange das gut geht?"

"Guter Punkt."

"Nicht wahr? Hier ist meine Rechnung."

"WIE VIEL????!!!!"
 
20. September

Als sich Adson in der Ortschaft umschaute, wunderte er sich darüber, wie schnell sie ihr Äußeres verändert hatte. Statt der mit Reet gedeckten Lehmhütten waren nun überall Steinhäuser mit Ziegeldach zu sehen. Auch fast alle anderen Gebäude waren nun im selben Stil gebaut und das Dorf machte nun einen stabileren und zivilisierteren Eindruck. Dorf? Mit 1200 Seelen war es eher schon ein kleines Städtchen.

Wie war es dazu gekommen? In einem Wort: Frieden. Statt auf Expansion zu setzen, hatten sich die Einwohner hingesetzt und ihr Heim verschönert. Die Hauptstraße war nun sogar ein Schotterweg. Adson fand das widerlich. Was als nächstes? Die Nachbarn einladen und vielleicht ein Bündnis eingehen? Er konnte es kaum erwarten, wieder Truppen auszuheben und einen nichtsahnenden Nachbarn um sein Gebiet zu bringen.

Er war nicht der Einzige, dem die Entwicklung zu schnell ging. Ein Bauer war genauso irritiert, wenn auch aus anderen Gründen.

"Was ist das hier?", fragte der Mann und zeigte auf ein großes Gebäude.

"Ein Badehaus."

"Ein was?"

"Ein Badehaus. Ein Ort, um sich zu waschen und zu entspannen."

"Waschen?"

"Ja."

"Mit Wasser?"

"Im Allgemeinen schon, ja."

"Ich glaube, da bin ich raus."

"Riecht man."
 
21. September

Adson war glücklich. Krieg. Endlich. Seine Armeen hatten begonnen, den Norden weiter aufzurollen. Und das Beste war: Es war nicht mehr ganz so einfach wie vorher. Diese Leute dachten tatsächlich daran, sich ernsthaft zu wehren. Vor allem diese Frau, die sich Kaiserin Konstanze nannte. Fast noch hochnäsiger als er selbst, aber mit schlechteren Truppen. Er wusste jetzt schon, dass er jede Minute genießen würde.

Und nicht nur das. Späher hatten berichtet, das anscheinend der gesamte Gebirgszug im Osten von barbarischen Stämmen beherrscht wurde, die nur darauf warteten, von seinen Leuten massakriert zu werden. Manche Tage waren wie Geburtstag, Ostern und Weihnachten zusammen. So viele Gegner, so wenig Zeit.

Davon abgesehen, schien sich die Welt um ihn herum im Zeitraffer zu wandeln. Der Ort war kaum wiederzuerkennen. Insbesondere das Zentrum.

"Ist aber schon etwas hässlich, oder?", sagte er zu dem Architekten, als er die fertige Burg in Augenschein nahm.

"Brutalismus ist der letzte Schrei. Funktion über Form. Dieses Meisterwerk defensiver Architektur wird Ihnen ein sicherer Hafen inmitten eines Völkersturms sein."

"Schön und gut, aber vor wem sollte ich mich hier schützen müssen?"

"Gemessen an deren Unterkünften, wahrscheinlich vor euren eigenen Bauern."

Adson dachte darüber nach und sah sich die Burg nochmal an.

"Gehen die Mauern noch etwas höher?"
 
23. September

Das Leben ist schön. Im Norden war Kaiserin Konstanze zusammen mit ihrem Reich schneller untergegangen als man Enthauptung sagen könnte. Nun waren Gutingi`s Armeen auf dem Weg weiter nach Süden in das Zentrum des Kontinents. Dort traf man auf einen lokalen Fürsten namens Karl der Krumme.

Und wo wir schon bei seltsamen Beinamen sind, die sich Leute selber geben. Der Gebirgszug im Osten war nun auch vollständig unter Kontrolle, nach dem weder schnellen noch unerwartetem Ableben des Anführers der Gebirgsstämme mit dem Namen Boris das Biest. Das Biest! Eine Hauskatze mit einem schlechten Tag ist ein Biest. Da hätte man vielleicht nochmal drüber nachdenken sollen. Wenn das so weitergeht, trifft man vielleicht bald auf jemanden, der sich Tazerface nennt.

In Gutingi war wie immer alles im schnellen Wandel. Das Zentrum war nun weniger wehrhaft und mehr pompös gestaltet. Der neueste Schrei waren spitz zulaufende Dächer mit dunkelroten Ziegeln. Das hatte schon einen gewissen Reiz. Mehr noch, was sich manche Ingenieure einfallen ließen.

"Und was genau macht ihr hier?", fragte Adson.

"Physik. Naturwissenschaften, Eure Majestät."

"Aha. Und, äh, wozu ist das gut?"

"Damit können wir zum Beispiel sowas bauen.", meinte einer der Arbeiter und wies auf einen mächtigen Apparat.

"Was ist das?"

"Ein Katapult."

"Was kann das Ding?"

"Wenn wir es richtig einstellen und die Flugbahn berechnen, können wir eine massive Steinkugel auf eine Mauer prallen lassen. Oder den Kopf einer Wache, die auf der Mauer steht."

"Das geht?"

"Natürlich."

Adson war Ästhet und die Vorstellung zermatschter Wachen auf einstürzenden Mauern fand er mehr als nur ein wenig befriedigend. "Also dieses Wissenschaftszeug gefällt mir. Mehr davon."
 
26. September

Als Adson sein Auge über Gutingi schweifen ließ, war er sehr zufrieden. Mehr als dreitausend Menschen waren nun hier zu Hause. Und lebten sehr komfortabel. Wenn er sich die Wohnhäuser gegenüber dem neu errichteten und im Übrigen sehr schmucken Rathaus anschaute, dann sah er schon geradezu Luxusunterkünfte. Machte aber auch Sinn. Je besser das Leben des einfachen Volkes, desto geringer das Aufstandsrisiko.

Doch was wäre all dieser Wohlstand, wenn man ihn nicht in wunderbare Eroberungsfeldzüge stecken könnte? Das gesamte Zentrum des Kontinents war bereits unter Kontrolle. Nun rückte man in Richtung Nordosten vor und war kurz davor, die Ostküste des Kontinents zu erreichen. Aber wie es schien, gab es dort einen König, der sein Land unerhörterweise nicht aufgeben wollte.

"Sein Beiname ist Darkblood.", meinte einer der Ratgeber.

"Das heißt sein Name ist Gottfried Dunkelblut?", fragte Adson. "Was für ein alberner Name. Was als nächstes? Johannes Schnee?"

"Mag sein. Aber seine Truppen sind gut."

"Das ist schlecht. Am Ende haben wir vielleicht so etwas wie Verluste. Das muss verhindert werden. Ideen?"

"Wir dachten an so etwas wie eine Imagekampagne."

"Aha. Was ist das?"

"Wir bauen eine Marke auf. Eine bestimmte Einstellung, für die wir stehen. Vielleicht mit einem griffigen Slogan."

"Das gefällt mir. Wie wäre es mit...mit...Wir kommen in Frieden! Ja, das klingt gut."

"Naja, ist aber nicht wirklich realistisch, nicht wahr?"

"Natürlich ist es das nicht, es ist ja auch Werbung."

"Wir dachten schon an etwas mehr subtiles."

"Oh mann. Na gut. Vielleicht...Wir verändern Ihr Leben für immer!"

"Das ist Gold, Chef. Genial."
 
27. September

Adson war etwas außerhalb der Siedlung und besichtigte die Burg, die gerade ein wenig erweitert worden war. Dabei lernte er ein nettes Paar namens Anselm und Odilie kennen. Man unterhielt sich, die Zeit verging. Aber plötzlich tauchte einer der Ratgeber mit einem Brief auf.

"Euer Majestät?"

"Ja."

"Ihr erinnert euch bestimmt, dass wir nach der Niederlage von Godfrey Dragonblood die Gebiete weiter südlich erkunden wollten."

"Stimmt. Und?"

"Man ist auf Truppen von Kaiserin Konstanze gestoßen."

"Konstanze? Ich dachte, sie wäre irgendwo in der Versenkung verschwunden. Aber anscheinend war ihr Reich größer als gedacht."

"Sie hat euch eine Nachricht geschrieben."

"Das ist aber nett. Was schreibt sie?"

"Ich hasse dich. Du hast alles ruiniert. Diesmal werde ich dich vernichten."

"Klingt wie meine zweite Ehefrau."
 
30. September

Gutingi hatte sich zu einer Kleinstadt von knapp 5000 Einwohnern entwickelt und Adson war sehr zufrieden mit sich. Alles war nun irgendwie größer und machte einen bedeutenderen Eindruck. Das Rathaus sah nun eher aus wie das Hauptquartier einer Handelsgesellschaft. Die Straßen waren prächtig gepflastert und hatten zum Teil Bürgersteige. Das Leben war schön.

Aber auch rätselhaft. Die Akademie der Wissenschaften hatte vorgeschlagen, einen großen Leuchtturm zu bauen. Adson gefiel die Idee, allerdings fragte er sich schon, warum dieser mitten in der Stadt und nicht direkt an der Küste gebaut wurde. Aber die Aussicht auf mehr Seehandel, Vorräte und Güter wog schwerer als gesunder Menschenverstand.

"Sagt mal.", meinte er während einer Ratssitzung. "Geht das nur mir so oder entwickeln sich die Dinge langsamer als bisher?"

"Das ist korrekt, Eure Majestät. Wir bauen richtige Häuser anstatt von Lehmhütten. Und eine Muskete zu entwickeln braucht mehr Zeit als es bei einem Holzspeer der Fall ist."

"Klingt logisch. Selbst der Feldzug gegen Konstanze und ihre Schergen dauert länger als gedacht."

"Gut, dass ihr darauf zu sprechen kommt. Wir könnten ja nun die Gebiete im Südosten erkunden. Aber die Späher wollen nicht arbeiten, bevor sie nicht eine Gehaltserhöhung bekommen haben."

"Naja, was schwebt denen denn so vor?"

"Eine Lohnerhöhung um 600%"

"WAS?! Wir haben eine Inflation von gerade mal 4%"

"Aber die Stundenlöhne sind seit hundert Jahren nicht angepasst worden."

"Hm...erklärt deren unterernährten Eindruck."
 
3. Oktober

Adson streckte sich und atmete tief ein. Es war ein wundervoll sonniger Tag. Er saß vor dem Weingut mit den Füßen auf einem Baumstumpf und genoss die guten Dinge des Lebens. Jemand hatte eine hervorragende Idee gehabt. Kolonien. Für ihn hieß das die massenhafte Rekrutierung unfreiwilliger Arbeitskräfte für große Plantagen, so dass er mit einer Tasse Kaffee und einer schicken Zigarre in der Sonne sitzen und den lieben Gott einen feinen Kerl sein lassen konnte. Nichts dran zu meckern.

Auch ansonsten gab es gute Nachrichten. Sein gegenwärtiger Gegenspieler im Südosten des Kontinents war König Ludwig XXI. Obwohl seine Truppen Ludwig`s Königreich stetig verkleinerten, gab es keine Animositäten zwischen den beiden. Ludwig war, wie er selbst, des Öfteren mal gelangweilt und was gab es besseres an Abwechslung als einen aufregenden Krieg.

"Euer Majestät?", sagte ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

"Ja?"

"Wir möchten euch unsere neueste Erfindung zeigen."

Adson wurde ein kleiner, runder und metallener Gegenstand überreicht. Das Gehäuse schien aus Gold zu sein und auf einer Seite waren ein paar bewegliche Teile sowie Markierungen von 1 bis 12.

"Was ist das?"

"Eine Uhr."

"Nochmal. Was ist das?"

"Ein Gerät, das euch anzeigt, wie spät am Tag es ist."

"Wofür ist das gut?"

"Ihr werdet dann nie mehr zu spät sein."

"Sie meinten wohl: Diese Uhr ist gut für Sie, denn dann kommen Sie immer rechtzeitig zu meinen Audienzen, zu denen ich auftauche wann immer ich lustig bin. "

"Äh...ja...natürlich."

"Dachte ich mir."

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7. Oktober

Adson hatte es einmal gesagt und wiederholte es immer wieder. Die Dinge entwickelten sich langsamer. Nicht, dass er das schlecht gefunden hätte. Ganz im Gegenteil. Er genoss das ruhigere Leben in vollen Zügen. Gutingi hatte nun mehr als 6000 Einwohner und so ziemlich allen ging es gut. Grund genug zu feiern. Im Rathaus ging es oft hoch her und ab und zu kamen Besucher vorbei, mit denen man zusammen feiern, essen und reden konnte. Wie etwa Thomas Malthus, mit dem Adson ein reichliches Abendessen einnahm.

"Erklärt mir nochmal eure Theorie.", meinte Adson, während er ein wenig Gänseleberpastete vertilgte.

"Es ist ganz einfach.", antwortete Malthus mit einem Stück Forelle im Mund. "Die Menschen werden sich immer weiter und weiter fortpflanzen. das ist unvermeidlich. Aber die Nahrungsmittelproduktion kann damit nicht Schritt halten. Also ist Elend und Hunger das Ende von allem."

"Aber doch sicher nicht für alle?", fragte Adson, nachdem er seinen Gaumen mit etwas Bordeaux benetzt hatte.

"Wie meinen?", äußerte sein Gegenüber nach einem Schluck Weißwein.

"Ich meine, das trifft doch sicher nur die Armen?", meinte Adson und bediente sich von der Obstplatte.

"Vorwiegend ja. Aber es ist vermeidbar, wenn es immer genug Krankheiten und Kriege gibt, um die Bevölkerung zu dezimieren.", sagte sein Gast und schob sich ein Stück Käse in den Mund.

"Dann haben wir nichts zu befürchten. Ich halte meine Armeen auf Trab und den Doktor habe ich jüngst des Landes verwiesen.", stellte Adson fest und warf einen Blick auf die Desserts.

"Euer Majestät tut Gottes Werk."
 
8. Oktober

Auch wenn Adson es nie so recht geäußert hat, war es doch jedem Beobachter klar, wie sehr er die Burg am Stadtrand mochte. Zwar waren die Lebensbedingungen in der Stadt mittlerweile besser als hier, aber er war Nostalgiker und mochte alte Gemäuer. So sehr, dass er es erneut geringfügig ausbauen ließ.

Auf dem Weg zurück in die Stadt dachte er über die Zukunft nach. Die Dinge schienen sich erneut zu wandeln. Der Kontinent war nun komplett unter seiner Kontrolle. Aber man hatte eine andere Landmasse entdeckt. Obwohl von eher primitiven Völkern beherrscht, wussten sie wohl um ihr Land zu kämpfen. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis diese neuen Länder unterworfen sein würden.

Aber die eigentliche Veränderung spielte sich hier ab. Das Rathaus hatte erneut einen kompletten Umbau erfahren. Es war nun eine interessante Kombination aus Backstein, Eisen und Glas. Und das interessanteste wartete vor dem Eingang. Ein paar Forscher hatten einen Apparat hierhergebracht. Mit Kohle wurde ein Feuer in Gang gehalten. In einem Bottich darüber war eine große Menge Wasser und irgendwie wurde ein Rad angetrieben, das sich stetig drehte.

"Macht schon etwas Lärm, nicht wahr?", fragte er.

"Stimmt. Aber dafür ist es sehr nützlich.", meinte einer der Ingenieure.

"Was ist es?"

"Wir nennen es Dampfmaschine."

"Aha."

"Euer Majestät, durch das Feuer wird das Wasser hier erhitzt und es entsteht Wasserdampf. Dieser Dampf wird in diesen Zylinder geleitet und treibt so diesen Kolben an, welcher das Rad in Bewegung setzt. Wir wandeln Wärme in Bewegung um."

"O-kayyyy?"

Die beiden Ingenieure sahen sich mit einem mitleidigen Blick an. "Euer Majestät, diese Maschine könnte auf vielfältige Weise Arbeit erleichtern und produktiver machen. Es mag nur eine Maschine sein, aber in Wirklichkeit beginnt mit ihr eine Revolution."

"Ich bin kein Freund von Revolutionen."

"Diese hier könnte das Land reicher, entwickelter und fortschrittlicher machen."

"Sie hatten mich bei reich."
 
15. Oktober

Manchmal fühlte sich Adson so, als ob die Welt aus den Fugen geraten würde. In der Neuen Welt kämpften seine Truppen gegen ein Land, dass von einem Präsident Cartwright regiert wurde. Er hatte sich dann erklären lassen, dass ein Präsident nicht auf Lebenszeit regiert. Und nicht nur das. Er wurde auch noch gewählt. Gewählt! Vom Volk! Ekelhaft. Solche Zustände würden hier nicht einreißen.

Aber auch sonst veränderte sich die Welt auf eine erschreckende Weise. Die Ingenieure hatten recht. Die Dampfmaschine war eine Revolution. Just heute sah er zum ersten Mal eine Eisenbahn. Sie war laut und schmutzig. Und schnell. Und transportierte viele Menschen auf einmal. Auch die Produktion veränderte sich. Statt kleiner Handwerksbetriebe gab es nun riesige Hallen, in denen eine große Zahl Arbeiter gleichzeitig tätig war.

"Jungejunge, den Gestank dieser Werkstatt riecht man auf fünf Kilometer.", sagte er.

"Das hier sind keine Werkstätten, sondern Fabriken, Eure Majestät."

"Aha. Und was stellen Sie dort her?"

"Also diese hier macht Sprengstoff."

"Na endlich mal was Nützliches. Und die hier?"

"Medikamente."

"Hm...okay...vielleicht nicht was für die breite Masse, aber ich habe ja öfter mal Kopfschmerzen. Und die dritte?"

"Insektizide."

"Was?"

"Ein Mittel, um Schädlinge von Nutzpflanzen fernzuhalten."

"Gefällt mir! Stellen Sie davon tonnenweise her und sprühen alles auf die Felder. Was kann schon schiefgehen?"

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19. Oktober

Und wieder ein glorreicher Tag in Gutingi. Adson hatte gerade eine Parade frisch ausgehobener Kompanien von Jägern abgenommen, bevor diese in die Neue Welt verschifft wurden. Dort machten seine Truppen gute Fortschritte dabei, die Armeen von General Dee Richtung Westküste des neuen Kontinents vor sich her zu treiben.

Gutingi selbst veränderte langsam, aber stetig sein Gesicht. Direkt gegenüber des Rathauses hatten die Architekten damit begonnen, neue Unterkünfte für die in den Fabriken arbeitende Unterschicht zu bauen. Adson sah sich das Ganze in etwas nachdenklicher Stimmung an.

"Alles in Ordnung, Eure Majestät?", fragte einer der Architekten.

"Ja...ich weiß nicht. Also irgendwie wirken diese Häuser schon etwas klobig. Ist das auch wieder Brutalismus?"

"Nein."

"Und wie nennt sich dieser Baustil."

"Ich würde sagen...häßlich."

"Bitte?"

"Naja, Euer Hoheit. Ein Architekt ist Künstler, aber von Kunst alleine kann man nicht leben. Also nehmen wir ab und zu einfach Holz und Ziegel in die Hand und schaffen lieblose Massenware wie das hier."

"Ich mag ihre Kombination aus Ehrlichkeit und Ruchlosigkeit. Aber da drin leben will doch keiner."

"Nun, wir beide werden das auch nicht müssen."

"Auch wieder wahr."

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24. Oktober

Adson saß in seinem Büro und las die Post. Die letzten Berichte aus der neuen Welt waren gut. Cartwright und Dee waren in den nordwestlichen Zipfel der Landmasse zurückgedrängt worden, wo sie sich in unzugänglichem Gelände verschanzten. Die letzten Widerstandsnester auszuräuchern würde wohl etwas dauern, aber es war nur noch eine Frage der Zeit. Allzumal alle wesentlichen Bodenschätze der Region schon gesichert waren und die Stadt in Zukunft mit Gummi und Koks versorgen würden.

"Euer Majestät, der Besuch wartet.", sagte einer Diener.

"Wer ist es?"

"Der Herr von der Presse."

"Ah, ja. Soll reinkommen."

Presse. In einem Anfall von Herzensgüte hatte er die Gründung von Zeitungen erlaubt. Und jetzt stellten diese Reporter tatsächlich Fragen. Unerhört. Er war einfach zu liberal.

"Euer Majestät, vielen Dank für Eure Zeit.", sagte der Journalist.

"Aber natürlich. Für mein Volk tue ich doch alles."

"So etwa die Ausweisung neuer Wohngebiete. Es ist aufgefallen, dass der Süden der Stadt nun besseren und teureren Wohnungen vorbehalten ist und es werden Sorgen hinsichtlich einer Gentrifizierung laut."

"Einer was?"

"Das Wohnquartiere absichtlich so gestaltet werden, dass nur noch Angehörige der Oberschicht sich dort eine Wohnung leisten können und so eine Trennung zur Unterschicht stattfindet."

"Das ist exakt das Ziel. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Wir sitzen hier alle in einem Boot. Nur halt an verschiedenen Enden. Und die einen Rudern, während die anderen Trommeln. Die neue Polizeiwache sorgt dafür, dass jeder auf seinem Platz bleibt. Und ich bin der Kapitän."

"Einer Sklavengaleere?"

"Ehm...im Wesentlichen...ja."

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26. Oktober

Die Bevölkerung von Gutingi war auf etwa 10.000 Menschen angewachsen und heute schienen sich alle am Südrand der Stadt versammelt zu haben, denn nach langwierigen und mühsamen Bauarbeiten war ein neues Wunder fertig. Imposant, aber auch etwas düster, überragten Turm und Kuppel des Bauwerks die Dächer der Stadt und man wartete darauf, das Gebäude endlich von innen sehen zu können.

Adson stand mit einem Reporter etwas abseits und beobachtete das Spektakel.

"Da ist noch eine Frage, die mich beschäftigt, Eure Majestät.", sagte der Reporter. "Warum heißt es Aachener Dom? Müsste es nicht der Dom zu Gutingi sein?"

"Gute Frage. Aber es ist nun mal der Aachener Dom."

"Ja, sicher, es ist eine perfekte Kopie, aber..."

"Kopie?"

"Naja...ich meine, es sieht genau so aus wie...also...es ist doch eine Kopie?"

"Mein guter Mann. Eine Kopie ist nicht gut genug für diese Stadt. Natürlich haben wir den Dom in Aachen Stein für Stein abgetragen und hier ordentlich wieder aufgebaut. Jetzt könnten Sie sagen, dass es in Aachen viele unglückliche Menschen gibt, da sie ihres Wahrzeichens beraubt wurden. Aber das ist ein Risiko, das ich bereit bin einzugehen."

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29. Oktober

Adson ging die Hauptstraße hinunter. Die Stadt hatte sich mächtig verändert. Es war nun eine Wüste aus Backstein. Häuser, Kasernen, Fabriken. Und alles war erheblich größer. Nicht nur das. Das Leben war für die Menschen hektischer geworden, da Schichtpläne in Fabriken strikter waren und die Arbeitsplätze lauter als auf einem Bauernhof oder einem kleinen Handwerksbetrieb. Insofern war es schlechter als vorher.

Aber es waren auch positive Trends zu sehen. Die Straßen waren besser. Es gab Ansätze für eine Kanalisation. Und überhaupt Wasser. Als er den südlichen Teil der Stadt erreicht hatte, stand er vor einer neuen Errungenschaft. Einem Wasserpumpwerk. Anscheinend würde es bald keine öffentlichen Wasserpumpen mehr geben, vor denen Leute mit Eimern Schlange standen. Das Wasser würde zu den Menschen in die Wohnungen kommen.

Er fand all das faszinierend. Und was, wenn die Ingenieure recht hatten und das war alles nur der Anfang eines totalen Umbruchs des menschlichen Lebens, der Beginn einer fortlaufenden wissenschaftlichen Revolution? Er wunderte sich, wie die Welt in Zukunft aussehen würde. Denn nun schienen auch früher phantastische Dinge möglich zu sein.

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31. Oktober

Adson war in bester Laune. Er hatte die Nachricht bekommen, dass die letzten Truppen von Präsident Cartwright besiegt waren. Damit war der größte Teil der Neuen Welt unter seiner Kontrolle. Die Späher gingen nun daran, die Gebiete an den nördlichen und südlichen Rändern des Kontinents zu erkunden. Man würde sehen, was dort für Überraschungen warteten.

Letzthin hatte jemand zu ihm gesagt, das nichts beständiger sei als der Wandel. Wohl wahr. Er stand vor dem Rathaus, das wieder mal einen Umbau erfahren hatte.

"Was sagen Euer Majestät zu meinem Werk?", fragte der Architekt.

"Naja, also um ehrlich zu sein sieht das eher aus wie ein Neokolonialistisches Hotel in der Karibik als ein Rathaus in Europa."

"Und das ist...schlecht?"

"Nein. Ich bin nur etwas überrascht. Ich hatte etwas anderes erwartet. Ich mag die Kuppel, da kommt viel Licht rein."

"Da geht sogar dir mal ein Licht auf.", meinte der Architekt leise zu sich selbst.

"Was sagten Sie?"

"Ich sagte, dass dies die erleuchtete Regierung Euer Majestät widerspiegelt."

"Oh, danke."

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10. November

Öfter mal was Neues. Die Eroberung der Neuen Welt machte gute Fortschritte, als im Nordosten eine weitere Landmasse entdeckt wurde. Sofort entspann sich eine Debatte, wie man sie nennen sollte. Neue Neue Welt? Ganz Neue Welt? Der letzte Schrei? Wie dem auch sei. Man kam überein, die Neue Welt Amerika und die neueste Landmasse Europa zu nennen.

Davon abgesehen schienen sich seine Ahnungen zu bewahrheiten. Die Dinge gerieten schneller in Bewegung. Als er die Hauptstraße betrat, stellte er fest, dass sie nun doppelt so breit und mit einem glatten, harten Belag versehen war. Man sagte ihm, das sei Teer. Als er fragte, wozu das nötig sei, führte man ihn zu einer großen Werkstatt, wo man ihm eine neue Maschine zeigte.

"Wir nennen es Automobil, Euer Majestät. Weil es sich von selbst bewegt."

"Und wie tut es das?"

"Hier im Motor wird Treibstoff verbrannt. Dadurch gewinnen wir mechanische Energie, die wir durch diese Kurbelwelle auf die hintere Achse übertragen, die das Auto antreibt. Und mit der vorderen Achse lenken Sie, wohin das Gerät fährt."

"Interessant. Zeigen Sie mal."

Die Ingenieure starteten den Motor und es dauerte nicht lange, bis ein unangenehmer Geruch bemerkbar wurde.

"Das stinkt ja ganz schön.", meinte Adson.

"Bei der Verbrennung entstehen Abgase. Aber das ist nur ein Problem in geschlossenen Räumen."

"Aha. Aber wenn mal irgendwann Millionen von diesen Dingern herumfahren, haben all diese Abgase keinerlei negative Auswirkungen?"

"Absolut nicht. Das geht einfach in die Luft und fertig."

"Na schön. Aber ich denke, diese Motoren könnten eine Menge nützlicher Anwendungen haben."

"Deshalb wollen wir Euch auch gleich noch die brandneue Panzerfabrik zeigen."

"Panzer?"

"Stellen Sie sich ein Auto mit Rundumpanzerung vor und einer Kanone, die große Löcher macht."

"Sagen Sie nichts mehr. Ich nehme zwei Dutzend."

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