Geschichten aus dem Gürtel.

Nennt mich Ismael. Oder nennt mich wie ihr wollt. Die Geschichte, die ihr jetzt hört, wurde mir auf meiner ersten Fahrt vor etlichen Jahren von einem alten Flieger erzählt. Keine Ahnung, wie viel Wahrheit dran ist, aber macht euch selber ein Bild. Ich war noch ein Neuling, hatte gerade frisch bei der Company angeheuert und sollte als Hilfskraft auf der Merry Widdow arbeiten, das war ein mittelgroßer Frachter für Rohstoffe und Astroeis. Wir bereiteten uns also auf die Rundreise vor, um Arbeiter nach Pales und von dort Rohstoffe zur Erde zu transportieren und ich sollte mich auf der Raumstation melden. Als ich da ankam, war die Merry Widdow noch im Dock, die Maschinen waren noch nicht fertig überholt. Wir als Crew hatten also jede Menge Freizeit und hingen meistens in der Bar rum, viel mehr kann man ja auf der Raumstation nicht tun. Eines Abends war ich alleine in der Bar, als sich dieser Alte neben mich setzte. Ein Veteran, in einer zerschlissenen Company-Uniform mit Offizierszeichen. Ein dritter Offizier, nicht von meinem Schiff.

„‘n Neuling, oder? Wohin geht es?“

Ich hatte eigentlich keine Lust auf ein Gespräch, deswegen antwortete ich ihm garnicht erst.

„Zunge verschluckt oder schon besoffen?“

„Pales, Rohstoffe holen.“

„Kannst ja doch reden. Welches Schiff?“

„Die Merry Widdow.“

„Die alte Widdow? Ist n guter Kahn, hat uns immer sicher nach Hause gebracht, ich bin 10 Jahre auf ihr geflogen. Hast du schon deinen Namen eingetragen?“

Jetzt wurde ich doch neugierig.

„Meinen Namen? Wo soll ich den denn eintragen?“

„Im Maschinenraum. Ist eine Stelle etwas über Kopfhöhe, da kratzt jeder Neuling seinen oder ihren Namen ins Metall, das wurde schon gemacht lange bevor ich mit der Widdow geflogen bin. Der Skipper sagt zwar vor jeder Fahrt, dass ihr das nicht machen sollt, aber trotzdem macht es jeder, normalerweise holt dich der Erste und der Zweite ab und heben dich auf ihre Schultern, damit du den Namen auch schön leserlich kratzen kannst.“

Er nippte an seinem Bier.

„Fliegt ihr von Pales aus direkt zurück zur Erde oder geht es weiter auf die Rundreise?“

„Rundreise Richtung Nemesis.“

„Nach Nemesis bin ich einmal geflogen, mache ich nie wieder. War der schlimmste Trip meines Lebens.“

„Warum, was war denn los?“

„Sorry, Grünschnabel, für die Geschichte ist mein Hals zu trocken und in meinem Glas zu viel Luft.“

Er hatte mich am Haken, jetzt wollte ich die Geschichte hören. War auf jeden Fall besser, als alleine in einer Bar rumzuhängen und auf die Sperrstunde zu warten.

„Alles klar, ich sorge dafür, dass dein Glas voll wird und du erzählst.“

Bevor er zum Schein protestieren konnte, hatte ich die Bestellung schon eingetippt und bezahlt. Er trank kurz von dem frischen Bier und fing an zu erzählen:

„Eigentlich war das ein ganz normaler Trip, ich arbeitete auf der Hawking, das war damals einer der größten Company-Transporter, mit einer Crew von dreißig Leuten, nicht bloß sechs, wie auf der Widdow. Auf dem Hinflug nach Nemesis hatten wir den Laderaum voller Kryokammern, jede Menge Arbeiter für Nemesis und auf dem Rückflug waren wir vollbeladen mit Astroeis und Rohstoffen. Das Übliche halt. Das Schiff war brandneu, flog wirklich gut, wir hatten alles entladen und beladen und waren schon wieder auf dem Weg nach Hause. Damals waren die Bahnen so, dass der schnellste Weg von Nemesis zur Erde relativ nah an der Sonne vorbeiging. Und als wir der Sonne am Nächsten waren, empfingen wir plötzlich ein Signal von einem anderen Schiff. Ein uralter Kahn, die Außenhaut total zerkratzt und ihre Triebwerke gaben mehr Strahlung ab, als den meisten Skippern lieb ist. Sie signalisierten uns, dass sie auf einer Rundreise wären, von einem Asteroiden zum nächsten, und dass sie Briefe dabei hätten, ob wir die zur Erde mitnehmen könnten. Das war damals normal, es gab lange noch nicht so viele Funkstationen wie jetzt, heutzutage werden Briefe ja zur Erde gefunkt. Damals nahmen die Transporter die auf dem Rückweg zur Erde mit. Damals gab es auch noch viele kleinere Companies, die zum Teil drei oder vier Asteroiden hatten, die weit auseinanderlagen und auch keine große Flotte. Deswegen waren Briefe schon mal ein paar Monate unterwegs, wenn sich nicht grade zwei Schiffe trafen, die die dann mit zur Erde nahmen. Wir signalisierten ihnen, dass wir die Briefe übernehmen würden, sie packten sie in einen Transportcontainer und warfen den dann ab. Wir drehten die Triebwerke ab und bremsten das Schiff, um den Container aufzufangen und der alte Kahn verschwand schon langsam wieder von unserem Scanner, als er plötzlich umdrehte und mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf uns zuhielt. Unser Skipper hielt plötzlich den Atem an und als wir raussahen, wussten wir auch warum: Zusammen mit dem alten Schiff hielt eine riesige solare Eruption auf uns zu, der übelste Sonnenwind, den ich je gesehen habe. Unser erster Offizier fing an zu wimmern wie ein Kleinkind und unser Skipper brüllte nur, dass wir die Maschinen anwerfen sollten und das Schiff drehen sollten und einfach nur rennen sollten. Wir holten aus den neuen Maschinen alles raus, was ging und trotzdem kam dieser alte Kahn immer näher und der Sonnenwind direkt dahinter. Das Geschrei über unsere Koms war übel, ich bin mir bis heute nicht sicher, ob das das Gelächter der Crew auf dem alten Schiff war oder Interferenzen durch den Sonnenwind. Und dann waren sie an uns vorbei und die letzten Ausläufer des Sonnenwindes erwischten uns. Eines unserer Triebwerke hat es zerfetzt und den Laderaum aufgerissen und wir wurden ziemlich durchgeschüttelt, aber wir sind so grade eben mit dem Leben davongekommen. Und ich schwöre auf alles, was du willst, das letzte, was ich von dem alten Kahn über Funk gehört habe, war enttäuschtes Geheul. Nachdem wir dann noch ein ganzes Stück von dem alten Schiff weg waren, haben wir diesen Transportcontainer mit den Briefen aufgebrochen und versucht, die Briefe zu lesen. Die meisten davon waren so alt, dass sie nicht mehr zu entziffern waren, noch aus der Anfangszeit der Weltraumbesiedlung. Und dann habe ich einen Brief mit einem Namen gesehen, den ich kannte. Johnny Ripley. Er hatte damals als Navigator auf der Widdow gearbeitet und dann bei einer Rundreise auf Juno auf die Mary Celeste gewechselt. Das Schiff haben sie irgendwann auf der Route zur Erde treibend gefunden, mit aktiviertem Notsignal, ohne irgendwelche Schäden. Die Besatzung ist nie wieder aufgetaucht. Ich bin mir sicher, wenn unser Skipper damals nicht so schnell reagiert hätte, würde ich heute auch auf diesem alten Kahn mitfliegen und andere Transporter in die Falle locken und in den nächsten Fässern wäre auch mein Brief mit dabei. Die Company hat uns damals den Arsch aufgerissen wegen der Schäden am Schiff, aber das war mir persönlich egal. Ich bin mit dem Leben davongekommen und habe geschworen, nie wieder auch nur in die Nähe von Nemesis zu kommen.“

Er schwieg lange, ich dachte schon, er wäre eingeschlafen. Also fragte ich ihn:

„Und, wie hieß der alte Transporter eigentlich?“

„Oh, er trug den Namen Holländer. Wenn dir jemals so ein Transporter mit dem Namen entgegenkommt, mach, dass du wegkommst.“

Damit kippte er den letzten Rest Bier in sich rein, stand auf und ging. Wie ich euch schon gesagt habe, ihr könnt selber entscheiden, wie viel von der Geschichte ihr glauben wollt. Aber mit einer Sache hatte der Alte Recht. Am ersten Abend, nachdem wir von der Raumstation losgeflogen waren, hielt der Skipper eine Rede, in der er uns Neue, die wir noch nie auf der Merry Widdow mitgeflogen waren, an Bord begrüßte, uns erklärte, dass die Widdow jetzt unser Zuhause sei und dass wir sie auch so behandeln sollten. Und obwohl es Tradition wäre, sollten wir auch darauf verzichten, unsere Namen im Maschinenraum zu den anderen zu kratzen. Und wie der Alte gesagt hatte, kamen in der Nacht der erste und zweite Offizier und holten uns Neulinge ab. Danach hoben sie uns im Maschinenraum auf ihre Schultern und ließen uns unsere Namen zu den anderen kratzen, damit wir beweisen konnten, dass wir auf der Widdow mitgeflogen sind. Und ja, ich habe nachgesehen, dort stand ein ganzes Stück über meinem frisch ins Metall gekratzten Namen der Name des ehemaligen Navigators der Widdow: Johnny Ripley.
 
Bereue ich etwas? Interessante Frage. Aufgewachsen bin ich in Bristol Bay, meine Mutter hab ich nie gekannt. Mein Vater war ein Trinker. Wenn das Geld mal wieder nicht gereicht hat, hab ich den anderen Kinder die Spielsachen gestohlen und sie verkauft. Als ich 14 war, hat mein Vater im Suff einen erstochen und musste weg, bevor ihn die Bullen finden würden. Also hat er das gemacht, was wohl damals viele gemacht haben, er hat auf einem der Frachter angeheuert. Mich haben sie als seinen Helfer genommen, da habe ich dann tatsächlich zum ersten Mal was von meinem Vater gelernt.

Der Frachter war so ein typisches Familienunternehmen, flog unter der Flagge einer der großen Companies, bekam von der Company vorgeschrieben, was er wann wo zu laden hätte und wurde dafür am Gewinn beteiligt. Der Captain hatte seine Tochter mit an Bord, die half auf der Brücke mit. Sie war ein paar Jahre älter als ich, aber wir hatten unseren Spaß zusammen. Das sah ihr Vater allerdings nicht gerne, hatte wohl Angst, dass sie am Ende noch schwanger würde. Allerdings war mein Vater ein zu guter Mechaniker, um ihn wieder von Bord zu werfen, deswegen konnte er mich auch nicht loswerden. Der Captain war sowieso nicht sonderlich beliebt bei der Mannschaft, die Bezahlung war wirklich schlecht und er war ein totaler Schinder.

Eines Tages trieb er es dann schließlich zu weit. Es war normal, dass wir nach etwa sechs Monaten im All alle ziemlich durch waren, weswegen wir normalerweise ein paar Tage in der Marskolonie verbrachten, bevor wir uns dann schließlich auf die letzte Etappe in Richtung Erde machten, der Flug dauerte auch nochmal Monate. Auf dem Mars konnten wir dann nochmal das machen, was man gemeinhin als „die Sau rauslassen“ bezeichnet, saufen, rumhuren, was man halt so macht, wenn man ewig in einer Metallbüchse zusammen mit den selben fünfunddreißig Leuten eingesperrt war. Stattdessen beschloss unser großartiger Captain aber, dass er viel lieber die Zeit sparen würde, um seinen Gewinn etwas zu erhöhen und dass wir weiterfliegen würden. Und als die Mannschaft sich beschwerte, beschloss er, die lautesten Schreihälse (darunter auch mein Vater) zu bestrafen, indem er ihnen den Lohn kürzte. Mein Vater hatte ja schon in Bristol Bay bewiesen, dass er mit einem Messer umgehen konnte und zusammen mit einigen anderen Crewmitgliedern drang er in die Kabine des Captains ein und schlitzte ihm die Kehle auf.

Damit hatte sich dann die Rückkehr zur Erde natürlich erledigt. Ein paar von der restlichen Mannschaft schlossen sich mit dem ersten Offizier zusammen und versuchten, meinen Vater und seine Meuterer zu überwältigen, dabei wurden dann noch zwei von ihnen getötet. Überraschenderweise stand die Tochter des Captains auf unserer Seite, anscheinend war er wohl nicht der beste Vater. Der erste Offizier und seine Leute und alle anderen, die sich meinem Vater nicht anschließen wollten, wurden in eine Rettungskapsel verfrachtet, soweit ich weiß haben sie mehr als zwei Jahre in den Kryokammern gelegen, bis die Kapsel von einem anderen Schiff gefunden wurde. Sie haben es wohl alle überlebt, aber als man sie gefunden hat waren wir schon so berüchtigt, dass ihre Berichte auch egal waren.

Mit etwas mehr als zwanzig Besatzungsmitgliedern ist Captain Maynard d. Ä. (auch bekannt als mein Vater) dann zurück zum Mars geflogen. Da haben wir dann unsere komplette Ladung verkauft (die Kolonisten sind bei sowas nicht wirklich neugierig, was die Herkunft der Waren angeht) und zwei Bergbaulaser gekauft, die wir auf unser Schiff montiert haben. Das machte uns zu einem ziemlich schlagkräftigen Kampfschiff, mit den Lasern kann man Asteroiden pulverisieren. Nach und nach verbesserten wir auch unsere Triebwerke, so dass wir uns entweder aus jeder Situation herauskämpfen oder herausfliegen konnten.

Leider stellten sich bei meinem Vater recht schnell wieder seine alten Dämonen ein, wenn er nicht gerade bei irgendeiner Hure lag war er besoffen. Als Captain taugte er nichts. Er hatte mich zu seinem ersten Offizier gemacht, weil er dachte, er könne mir trauen. Nun ja. Als mein Vater nach drei Monaten immer noch keinen Plan hatte und uns das Geld langsam eng wurde, beriet ich mich mit dem Rest der Crew und wir beschlossen, meinen Vater auf dem Mars zurückzulassen. Die Crew folgte mir, was mich selber etwas überraschte, schließlich war ich erst zwanzig. Angel wurde zu meinem ersten Offizier (das ist die Tochter des ehemaligen Captains, für alle, die nicht aufgepasst haben) und für die nächsten Jahre wurde das Gespann Maynard/Teach gefürchtet.

Wir plünderten Schiffe auf dem Weg zu den Asteroiden oder zum Mars und stahlen ihre Vorräte und Ladungen. Da war wirklich alles dabei, von Werkzeugen für den Bergbau bis Klonsklavinnen für die Mars-Bordelle. Wir schmuggelten Waffen und Vorräte für die Rebellen auf den Asteroiden. Wir erpressten die Companies, indem wir ihre höheren Angestellten einfingen und erst gegen Zahlung von Lösegeld wieder freiließen. Es ging so viel Geld durch unsere Hände, dass wir wohl zeitweilig reicher waren als die kleinste der Companies. Nicht, dass die Companies es uns einfach machten. Es gab einige enge Situationen, wenn wir vor bewaffneten Schiffen fliehen mussten oder wenn wir uns unseren Weg freikämpften. Eine der schlimmsten Situationen gab es bei einem Kampf über dem Mond, als uns fünf Kampfschiffe an einer Stelle auflauerten, die wir die Teufelsschlucht nannten. Wir spielten stundenlang Verstecken mit ihnen. Ihre Wracks liegen wohl immer noch dort.

Es wäre wohl noch länger so weitergegangen, aber dann passierte etwas, das Angels Vater schon damals befürchtet hatte, als wir nur unseren Spaß miteinander hatten. Sie wurde von mir schwanger. Deswegen beschlossen wir, das Schiff zu verlassen. Viele der ursprünglichen Crew taten es uns gleich, das Schiff blieb in den Händen von Leuten, die bei der Meuterei am Anfang noch gar nicht dabei gewesen waren. Neue, saubere Identitäten waren schnell beschafft und seitdem haben wir mit Piraten nichts mehr am Hut. Ich weiß nicht, was aus den anderen geworden ist, die das Schiff mit uns verlassen haben und sie wissen auch nicht, was aus uns geworden ist. Die restliche Crew hat sich mit dem Schiff den Rebellen im Asteroidengürtel angeschlossen, soweit ich weiß wurden sie ein paar Monate später von den Companies besiegt und bis auf den letzten Mann und die letzte Frau getötet. Falls die Companies wissen, dass wir noch leben, interessiert es sie anscheinend nicht.

Ich war nicht lange als Pirat unterwegs, als wir das Schiff verließen war ich gerade mal fünfundzwanzig, aber es hat sich verdammt noch mal gelohnt. Wir sind so reich, dass es für zwei Leben reicht und wir können unseren Kindern weitaus bessere Eltern sein, als es unsere jemals waren. Und es ist wirklich eine Freude, unsere Älteste und die Zwillinge in unserer Villa in Port Royal aufwachsen zu sehen. Ihr fragt, ob ich etwas bereue? Macht ihr Witze?
 
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